Rezensionen MCD #02:

 

09)

 Henke – Vom A zum F – Oblivion/SPV 2011

Es ist schwer, zu sagen, was man von Oswald Henke halten soll. Textlich, musikalisch und schauspielerisch ist er ein Unikum. Angesiedelt in der Gruftiszene, rezitierte er zunächst zu billigem Synthesizer seine finsteren Gedichte (Genrebezeichnung: „Neue deutsche Todeskunst“), bis er aus Goethes Erben eine musikalisch bemerkenswerte und abwechslungsreiche Band machte und den Sprechgesang beibehielt. Weitere interessante Betätigungsfelder fand er mit Artwork und Erblast. Doch dann ward ihm das illegale Heruntergelade seiner Fans zu wüst und er verabschiedete sich beleidigt aus dem Musikproduktionsprozess und beendete sämtliche Bandtätigkeiten. Doch nicht so ganz, schon bald gründete er mit einigen Ex-Mitmusikern Fetisch:Mensch als reine Live-Band. Von der es bald ein reines Downloadalbum gab. Und jetzt, ganz neu: Henke, die Band zum Menschen.

Mit einem völlig neuen Sound, aber nicht ohne Rückgriff in die Vergangenheit. „Vom A zum F“ behandelt das Thema Suizid auf eine – typisch Rebell Henke – ungruftige Weise: Henke sagt, dass Selbstmord Blödsinn ist. Für diese EP kramte Henke deshalb das Goethes-Erben-Stück „Spuren im Schnee“ heraus, das es bis dato lediglich als Live-Version auf „1. Kapitel“ gab. Der Sound, wie gesagt, überrascht: Henke selbst spricht von Alternative Rock, was auch stimmt, hübsch melodiös und rockig, im Verlauf der EP gottlob auch experimentell, wie man es von Henke in elektronischem Kleid bereits kennt. À propos: Fil, der „Neue“ bei Qntal, steuert zum Abschluss wie schon auf der Goethes-Erben-Maxi-CD „Tage des Wassers“ einen hübschen Remix im ihm eigenen Soundgewand bei. Man hört Fils Keyboard-Presets einfach immer heraus: leicht altbacken, mit Spaß am Beat und atmosphärisch-mitreißend. Passt.

So steht man vor dem neuen Werk des humorvollen Schwadroneurs Henke und weiß nicht so recht, wie man zu ihm stehen soll. Das Gejammer über Downloads geht einem auf den Sack, die Mucke macht aber Spaß. Ein Album namens „Seelenfütterung“ folgt übrigens demnächst.

Von Matthias Bosenick (15.04.2011)

 

08)

 Krüger - Gütersloh - Bauchpfannen Aufnahmen 2010

So geht’s zu in der unplanbaren Welt des Pop: Michael Krüger ist seit etwa einem Vierteljahrhundert als Musiker aktiv. Der Klein Sisbecker startete 1987 in der legendären Velpker Band „Die Trottelkacker“, die ihre Aktivitäten seit 2002 ruhen lässt, sieht man vom Tribut-Konzert im Oktober 2009 ab. Aus den Trottelkackern gingen zwei Nachfolgeprojekte hervor: Müller & die Platemeiercombo und Krüger.

An sich spielt der Multiinstrumentalist Krüger (38) seine Lieder nahezu alleine ein. In unregelmäßigen Abständen brennt er sie als Singles oder Alben auf CD und vertreibt sie unter dem Label Bauchpfannen Aufnahmen. Dort erscheinen übrigens auch die Tonträger von Müller & die Platemeiercombo. Auch im Internet ist Krüger aktiv; auf Bandcamp, Myspace und Youtube stellt er seine Songs zum Anhören, Ansehen und Herunterladen zur Verfügung.

Auf diese Weise wurde Jo Pelle Küker-Bünemann auf Krüger aufmerksam. Der Mann bestellte einige CDs bei Krüger, der feststellte, dass  Küker-Bünemann aus Gütersloh kommt. „Da fiel mir ein, dass ich da ja noch den einen Song in der Schublade habe“, erinnert sich Krüger. Schon vor drei Jahren hatte „Gütersloh“ auf dem Album „Wie kann ich unbemerkt verschwinden?“ erscheinen sollen, doch war Krüger mit dem ersten Demo vollkommen unzufrieden. Doch: „Aus Gag und als Dank hab ich dem das mitgeschickt“, erzählt Krüger. Und damit erst die Welle losgetreten: Küker-Bünemann gefiel das Lied so gut, dass er Krüger dazu bewegte, den Song nochmal vernünftig produziert einzuspielen und als Single zu veröffentlichen.

Mit dieser Single ging Küker-Bünemann in seiner ostwestfälischen Heimat hausieren. Zeitungen und Magazine berichteten darüber, in einem Gütersloher Plattenladen ist die Single erhältlich. Und am Dienstag stand ein Filmteam von RTL-West vor Krügers Tür. Der Sender interessierte sich für den Niedersachsen, der mit einem Song über Gütersloh die Stadt aufmischt. Denn bis dato ist dies offenbar erst das zweite Lied überhaupt, in dem die Stadt eine Rolle spielt. Das andere heißt „Der letzte Cowboy von Gütersloh“ und stammt von einem Sänger namens Thommie Bayer.

Der Wirbel zeigt bereits seine Folgen: So viele Internetnutzer wie nie zuvor klickten auf Krügers Seiten, hörten sich den Song an, luden ihn sich herunter oder sahen das Video. „Für meine Verhältnisse ist das extrem viel“, freut sich Krüger.

Der RTL-Dreh war übrigens Krügers erster Kontakt zur Stadt Gütersloh überhaupt – er war vorher noch nie da und hat auch keinen Bezug dazu. „Ich brauchte etwas, das drei Silben hat und sich auf Tokyo reimt“, gibt Krüger zu. Außerdem verdeutlicht dies den Ansatz des Textes noch viel mehr: Ich will raus aus dem Dorf, versuche mein Glück in der Stadt, in San Francisco, Stockholm – oder eben Gütersloh. Einen weiteren Besuch soll es auf jeden Fall geben, nämlich mit seiner in Braunschweig probenden Live-Band zu einem Konzert. Mit Klotz X, Olaf Ungemach und Heinrich von Kaltmiete tritt er dann in der Stadt auf, die ihm den unerwarteten Erfolg bescherte – in Gütersloh.

Das Lied ist zu sehen und zu hören:

www.myspace.com/krger
kruger.bandcamp.com/
www.youtube.com/watch?v=g9LEnTGNRUw

Making-Of zum RTL-Dreh:
www.youtube.com/watch?v=tOFz4y0R_mE

Von Matthias Bosenick (25.09.2010)

Kreuzveröffentlicht auf www.unser-braunschweig.de

 

07)

 Killing Joke – In Excelsis – Spinefarm Records 2010

Jaz, Big Paul, Geordie und Youth sind wieder zusammen. Drei Alben haben sie von 1979 bis 1982 aufgenommen, drei wegweisende, einflussreiche Meilensteine, die Dub, Post Punk, New Wave Of British Heavy Metal, Rock und Industrial enthielten. 28 Jahre später enthält "In Excelsis" ebenjene Mischung auf vier (CD: fünf) Tracks. "In Excelsis" ist das erste Lebenszeichen aus dem Studio, das diese vier Herren von sich geben. Seit zwei Jahren touren sie zusammen und spielen die schönsten Songs aus 30 Jahren nicht nur gemeinsamer Bandgeschichte auf die Bühnen der Erde. Und jetzt eben auch neue Lieder. Und sie sind gut. Sehr gut.

Das Titelstück ist eine Hymne, klingt nach Aufbruch und Veränderung, nach Hoffnung und Zurücklassen. Im mittleren Tempo ist "In Excelsis" beinahe Indierock mit einem ordentlichen Popeinschlag. "Endgame" und "Kali Yuga" sind schneller, härter, ungestümer und brachialer. Letzteres hat übrigens nichts mit dem vor 20 Jahren auf "Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions" als "Kaliyuga" veröffentlichten Intro zum Song "Struggle" zu tun. Zum Abschluss gibt's mit "Ghost Of Ladbroke Grove" ein herrliches oldschooliges Stück Dub, von dem auf CD – haha? – ein Dub-Remix als Bonus vorliegt.

Mit "In Excelsis" zerstreuen sich endlich auch die Ankündigungen der diversen Single-Formate. "Industrial Suicide Tribe" sollte es unter anderem auch heißen, das Comebackwerk. So ist "In Excelsis" laut Band ein Überblick über die laufenden Sessions zum 13. Album mit dem passenden Titel "XIII: Feast Of Fools", das nun erst im September erscheinen soll. Wenn das so ausfällt wie diese EP, ist alles gut. Denn: Jaz Coleman, so komisch es klingen mag ohnehin die Schwäche in der Band, singt zu mehr als der Hälfte klar, anstatt wie Marius zu knödeln. Alles ist gut.

Diese EP gibt es bei What Records als Doppel-10" in rotem Vinyl und nur vier Tracks. Die CD mit den fünf Tracks liegt der Ausgabe bei. Via iTunes soll es noch ein Video geben, das mit einem weiteren exklusiven Track unterlegt ist. Vielleicht schafft es der ja aufs Album – dessen Tracklist steht nämlich noch nicht fest.

Von Matthias Bosenick (02.07.2010)

 

06)

 X Marks The Pedwalk - Seventeen - Infacted/Soulfood 2010

†berraschend steht eine Maxi-CD von X Marks The Pedwalk im Maxi-CD-Fach des Großhändlers unseres Misstrauens. Okay, die streng limitierten Wiederveröffentlichungen von "Abattoir" und "Cenotaph" im Zuge einer großangelegten Kult-Hits-Wiederveröffentlichungskampagne des Labels haben gezeigt, dass es ein Interesse an X Marks The Pedwalk grundsätzlich noch gibt. Das kann natürlich auch daran liegen, dass inzwischen nicht nur ältere EBM-Hörer begriffen haben, dass das meiste neue Zeugs mit dem Etikett EBM grottenschlechter Mist ist und im besten Falle so klingt wie die uralten Originale. Da kann man die dann auch gleich wieder hören. Und das tut man dann auch.

Hach - wie schön: "Abattoir" war 1991 ein Club-Hit für die Münsteraner. Der Sound war deutlich angelehnt bei kanadischem EBM wie Skinny Puppy und Front Line Assembly mit dezenten europäischen Einflüssen à la Leæther Strip. Heraus kam eine eigentümliche und eigenständige Mischung aus Industrial und Techno, reichlich düster, immer tanzbar. Mit der Zeit nahmen die Brüder Sevren Ni-Arb und Raive Yarx das Düstere heraus und machten entspannten und entspannenden Techno. Ein gutes Dutzend Jahre lang ruhte dann der See still - bis jetzt.

"Seventeen" nennt sich der Vorbote zum Album "Inner Zone Journey", das im März kommen soll. Leider, leider hält die Linie, die die Brüder bis Mitte der 90er gefahren haben, nicht an. "Seventeen" klingt wie mal eben am PC zusammengeklickt. Alles reichlich einfach, vor allem: dicht am Elektro-Schlager, der ansonsten in der sich selbst immer noch als solche bezeichnenden "Szene" in ist.

Noisuf-X auf der Remixer-Liste lassen zusätzlich Billig-Böses ahnen. Die sind für sich schon schlecht, egal, wie sie sich nennen (X-Fusion). Und der Rest? Das Titellied in zwei unterschiedlichen Längen, die es nicht braucht, weil das Stück ohnehin nicht im Radio gespielt wird. Der Album-Track "Winter Comes Tomorrow" in einem Eigen-Remix, der jetzt aber tatsächlich die Düsternis zurückholt. Zum Abschluss erneut "Seventeen", gemixt von Liquid Divine, die nicht so marktschreierisch über die Gruftgazetten gescheucht werden und dem Stück erfreulicherweise etwas Gutes hinzufügen. So sollte es im Original geklungen haben, dann wäre der Fan zufriedener.

Der hofft indes, dass es sich bei "Seventeen" lediglich um den Versuch handelt, es möglicherweise doch mal in die Charts zu schaffen, und dass "Winter Comes Tomorrow" viel mehr für den Sound des ganzen Albums steht. Ein Dutzend "Seventeens" braucht niemand, dafür hat man zu viel Brain und zu wenig Nerves.

Von Matthias Bosenick (22.01.2010)

 

05)

 Erasure - Pop! Remixed; Club; Phantom Bride EP - Mute 2009

So richtig retrograd präsentiert sich das Synthie-Pop-Duo Erasure zurzeit. Neben der erweiterten Singe-Schau "Total Pop!", dieses Mal mit 40 statt 20 Singles (auch erhältlich als "Pop2!" mit den zweiten 20 Singles), veröffentlichten Vince Clarke und Andy Bell drei EPs mit altem Material, gelegentlich in neuem Gewand. Das kann durchaus daran liegen, dass den beiden Herren selber zu Bewusstsein kam, um wie viel weniger mitreißend und atmosphärisch deren neueren Stücke sind, verglichen mit den alten. Schlecht sind die neuen Alben zwar nicht, aber doch vergleichsweise unbedeutend. Verglichen mit sich selbst und verglichen mit Wegbegleitern, wie den Pet Shop Boys.

Also besann sich Erasure auf die alten Tage. Den Anfang machte "Pop! Remixed", das in der offiziellen Version zehn Remixe alter Stücke ("Freedom" aus dem Jahr 2000 ist das jüngste) beinhaltet. Dabei sind die Remixer einigermaßen behutsam mit den Originalen umgegangen. Oft – und so ist es auch zum Teil bei den anderen beiden EPs – haben die Mixer den Geist des Originals nicht erfasst und aus einem Lied mit Seele einen schnöden Dance-Track gemacht, auf der "Pop! Remixed" hat man diesen Eindruck nicht so sehr. Diese Sammlung ist tatsächlich relevant, es tut dem Fan gut, sie zu besitzen, es macht Spaß, sie zu hören. Im Prinzip ist dies die Single "Always 2009", wobei sich allerdings dieser Mix vom Original nicht wirklich unterscheidet. Vielmehr erfährt man erneut, wie wirklich großartig dieser Song auch heute noch ist. Man muss sich das vor Augen halten: 1994, mitten im Euro-Dance-Fieber, veröffentlichten Erasure einen langsamen Popsong – und hatten damit auch noch Erfolg. So viel wie nie wieder danach. Das allerbeste Album jedoch kam nur ein Jahr später heraus, das selbstbetitelte nämlich. Davon stammt "Fingers & Thumbs (Cold Summer's Day)", das hier in einer akzeptablen Dance-Version zu hören ist. Viel interessanter ist das bereits angesprochene "Freedom", das hier nach Gospel-Flamenco-Ambient klingt und Erasures musikalisches Spektrum um eine interessante Nuance erweitert, die das Duo selbst nicht einmal mit ihren Country-Versionen erreichte. Als weitere Lieder sind solche wohligen Kuschellieder wie "Victim Of Love", "Ship Of Fools" und "Chorus" zu hören. Andy Bell bearbeitete "Drama!", Vince Clark "Stop!". Zu den Mixern gehören Komputer und Manhattan Clique sowie einige weitere dem Rezensenten namentlich nicht weiter vertraute Leute. Und sie alle machten ihre Arbeit reichlich gut, ließen zumeist die 80er-Stimmung in den Songs und reicherten sie mit netten modernen Gimmicks an, ohne sie auf den reinen Effekt zu reduzieren. Ja, diese EP macht Laune.

Im Jahre 1990 veröffentlichte Mute vier Promo-12"es mit Remixen, katalogisiert als ERAS1 bis ERAS4. Die Nummer vier fand den Weg in die Plattenläden als "Abba-esque Remixes", die anderen drei blieben weitgehend unveröffentlicht. Bis jetzt, denn "Club" sammelt sechs von sieben Tracks, die dem auf Plattenläden angewiesenen Fan bislang verborgen blieben. Das doofe Copyright verhinderte es, dass ein siebtes Stück ("Who Needs Love (Like That)" im Winnie Cooper Mix von Fortran 5) mit auf der EP landete. Zwei weitere wiederum gab es bereits auf einer limitierten Remix-Single zu hören, wenn man sie denn erwischte, die Single. Jede der drei ERAS-12"es deckte eines der bis dato veröffentlichten Alben ab. Die Mixer passten die Stücke an den Klang und den Zeitgeist des Jahres 1990 an: Man hört frühe House- und Acid-Sounds, es klingt deutlich nach Patterns und teilweise recht plastik-monoton. Aber auch irgendwie charmant, das kann man den Tracks nicht absprechen. Zu den Mixern gehörten unter anderem Danny Rampling und The Orb. "Club" macht von den drei EPs die zweitmeiste Laune.

Die "Phantom Bride EP" geht der Deluxe-Version des dritten Albums "The Innocents" voraus, die demnächst erhältlich sein wird. Das Titelstück ist im Original das dritte Lied jenes Albums, der Rest sind neue Versionen weiterer Lieder ebenjener LP. Dazu gehören "A Little Respect", "Chains Of Love" und weitere. Hier gilt, was auf "Pop! Remixed" nicht zutrifft: Viele Mixer scheren sich einen Dreck um die Seele der Originale. Es geht in erster Linie um Hau-Drauf-Getanze. Wenn das das Ziel sein soll, nun gut, das ist gelungen – man braucht es aber nicht unbedingt, es klingt zumeist billig, kalt und steril. Ganz so, wie man es also der Musik aus den 80ern zu Unrecht vorgeworfen hatte. Die "Phantom Bride EP" macht also nur den drittmeisten Spaß.

Von Matthias Bosenick (18.10.2009)

 

04)

 The Cure – Hypnagogic States EP – Geffen 2008

Der Robert! Um das 13. Album seiner Gruppe „The Cure“ zu promoten, veröffentlichte er vier Monate lang an jedem 13. eine Single, mit der geplanten Veröffentlichung des Albums „4:13 Deam“ im September. Jenes verschob er nun um einen Monat und schob dafür die vorliegende Remix-EP dazwischen, deren Royalties ans Internationale Rote Kreuz gehen. Auf dieser EP ist jeder Titel-Song der vier Singles als Remix enthalten, also in der richtigen Reihenfolge ihrer Veröffentlichung „The Only One“, „Freakshow“, „Sleep When I’m Dead“ und „The Perfect Boy“, gefolgt von „Exploding Head Syndrome“, einer 20minütigen Zusammenstellung diverser Albumtracks, die interessanterweise nicht danach klingt.

Die vier Singles klangen schon wie eine poppige Variante von The Cure, weitgehend frei von allem Düsteren, das das Oeuvre der Band zu Beginn ihrer Karriere bezeichnete. „Chinese Whispers“ steht den neuen Liedern also näher als das letzte Album „The Cure“. Wave-Pop ist dem aktuellen Sound ähnlicher als Gothic-Rock. Auf der EP kommt die Auswahl der Remixer noch popverdeutlichend hinzu, denn Smith biedert sich damit doch deutlich beim jüngeren Alternative-Publikum an: 30 Seconds To Mars, AFI, My Chemical Romance, Fall Out Boy und 65daysofstatic. Ist Emo das neue Gruft? Offensichtlich ja, nur ohne den Willen zu Kultur oder zum Nachdenken, rein auf Selbstmitleid beschränkt. Aber davon ab.

Man weiß wiederum auch nicht, ob man sich darüber freuen soll, dass die Remixe nicht nach dem klingen, was die Remixer erwarten lassen. Denn drei der Mixe sind reiner Charts-Dance-Bummbumm-Quatsch. Schön, kein Emo, scheiße, trotzdem nicht gut. Okay, einige der Ur-Songs klingen von sich aus schon nach Plastik, aber sie haben wenigstens noch Stil und Charakter und, was wohl am wichtigsten ist, klingen nach The Cure. Allein 30 Seconds To Mars gelingt es, aus „The Only One“ einen echten Cure-Song zu machen.

Reichlich eigenartig ist die Remix-Bezeichnung. Auf den Singles steht immerhin nachvollziehbar „Mix 13“, was erwarten lässt, dass sich die Lieder auf dem Album anders anhören; auf dieser EP heißen sie zumeist „Remix 4“, bis auf „Freakshow“. Zwar erwähnte Smith, dass es unendlich viele Remixanfragen gab, doch nach einer reinen Durchnummerierung sieht das nicht aus. Und Smith erwähnt viel, wenn die Nacht lang ist. Zum Beispiel, dass das Album als Fünffachklappdigipak erscheinen soll mit Platz für die vier Singles, doch was mit der Zwischen-EP werden soll, sagt er nicht. Er sagt auch seit Jahrzehnten ständig, dass das letzte Album das tatsächlich letzte gewesen sein soll, ähnlich wie mit jeder Tour. Den 13. September hat er ja auch verschoben, und selbst der 13. Oktober ist derzeit nicht sicher (es sieht nach dem 27. aus). Naja, die Fans werden treu bleiben und die vier Vorab-Singles kaufen sowie alle weiteren Remix-EPs und ganz selbstverständlich auch das Album. So soll es sein. Lieber die alten Helden als die neuen Nachmacher, aber das ist ein sich selbst wiederholender Sermon, der hier nicht schon wieder abgesondert werden soll.

Von Matthias Bosenick (22.09.2008)

PS: Guido hat ja recht: Das Album heißt natürlich “Japanese Whispers”. Aber nach dem  Scheitern der “Chinese Democracy” gefällt mir dieser Lapsus - ich korrigiere ihn nicht. (03.07.2009)

 

03)

 Peter Heppner – Alleinesein – Warner 2008

Und dafür haben wir den Untergang von Wolfsheim auf uns genommen? „Alleinesein“, die erste richtige Solo-Single von Peter Heppner, ist gut produziert, bietet soliden Pop, eine schicke Uptempo-Nummer mit Trance-Elementen, Stop-And-Go-Effekten, einer einprägsamen Melodie und netten, bunten Arrangements, dazu Heppners einprägsame, wohligwarme Stimme. Technisch also oberklassiger – Schlager. Ein banaler Tralala-Text zu einer Tralala-Melodie. Als Gast auf einem Albumtrack eines Freundes wäre diese Nummer völlig okay gewesen, doch als erste eigene Single ist es eine Frechheit, besser: eine Enttäuschung.

Schon das letzte Wolfsheim-Album „Casting Shadows“ erfüllte nicht mehr die Erwartungen der Fans, die sich das Duo Anfang der 90er mit reduziert-melancholischen, beinahe gruftigen Synthiepop-Alben mit programmatischen Titeln wie „No Happy View“ und „Popkiller“ erspielte. Radiotauglich und uninteressant waren Wolfsheim zuletzt, schlimmer nur noch das Soloprojekt „Care Company“ von Markus Reinhardt, der sich jetzt offenbar über Heppners Solo-Aktivitäten echauffiert und die Trennung vorantrieb. Eigenartig, das alles. Und nun steht also „Solo“ im Regal, Heppners Werk, direkt neben Reinhardts Ankündigung, Wolfsheim ohne Heppner fortzuführen, doch bitte – das wäre ja dann quasi Care Company, langweilige Synthiemucke mit charakterlosem Sänger, wer will denn dann noch Wolfsheim hören?

Und wer Heppner solo, wenn nicht Hausfrauen beim Dudelfunkhören? Seine einstigen Fans sollte Heppner zumindest verloren haben. Im Prinzip lässt sich Heppners Ausrichtung schon an der Wahl seiner Kollaborateure ablesen. Waren es zunächst noch Girls Under Glass, Umbra et Imago, Joachim Witt und Goethes Erben, tendierte Heppner später mit Schiller, Paul van Dyk und MiLù zu mehr Konformität. Zwar veredelte er stets die Musik – okay, bei Witt oder Umbra ist nicht viel zum Veredeln da – aber zeigte Heppner doch deutlich, dass er dem Untergrund entwachsen und sein Stück vom großen Kuchen abhaben wollte. Schade drum!

Interessant ist auf der Single lediglich der Remix von Paul van Dyk, der einen soliden eigenen Dancetrack abliefert, aus dem er auch gerne Heppners Text hätte wegfiltern können. Eine Alternativ-Maxi-CD bietet ein Album-Snippet als zweiten Track, das es nun wirklich nicht braucht. Mit dieser Single erfüllt sich Heppner einen Wunsch, den er vielleicht nicht geäußert haben sollte, denn mit diesem Popquatsch, und nichts gegen guten Pop!, wird er fortan so ziemlich „alleinesein“.

Von Matthias Bosenick (16.09.2008)

 

02)

 Kraftwerk - Aerodynamik/La Forme Remixed By Hot Chip - Capitol/EMI 2007

Ach Mensch, Kraftwerk! Seit 1986, seit über 20 Jahren also, betreibt Ihr nicht mehr als ein bißchen Recycling Eurer eigenen Ideen. Neu waren seitdem lediglich der "Expo 2000"-Jingle und die meisten Stücke auf dem "Tour de France Soundtracks"-Album von 2003, das Ihr wiederum zur 1983 erschienenen Single nachgeschoben habt. Dazwischen gab es "The Mix" und das nahezu identische "Minimum-Maximum"-Live-Album. Das war's. Jetzt kommt eine Single mit Remixen zweier Stücke des mittlerweile vier Jahre alten letzten Albums, angefertigt von einer Combo, die als der nächste heiße Scheiß gehandelt wird, ohne es als Remixer hier wirklich zu sein: Hot Chip.

Warum? Eine CD mit Fremdremixen angesagter Elektro-Frickler hätte ja wirklich etwas für sich, da wäre die Liste der möglichen Kandidaten ewig lang. Warum aber 20 Minuten Langeweile von nicht mehr ganz so jungen Hunden, die sich nicht trauen, aus dem guten Originalmaterial etwas Besonderes zu zaubern? Die eigenen Stücke von Hot Chip überzeugen mehr als diese Mixe. Schade! Aber das Cover ist schön grün und die Single erschien zuerst als Vinyl.

"Aerodynamik" kommt dem Original gemäß temporeich daher, und immer, wenn es ordentlich Fahrt aufgenommen hat, unterbrechen die Mixer den Fluß mit ein paar entspannenden Geräuschlandschaften. Das hält den Track lebendig, rechtfertigt seine Existenz jedoch nicht ausreichend. "La Forme" wiederum ist ungefähr so spannend wie eine Fahrradtour mit den eigenen Großeltern. Und dauert auch so lang.

Also, Kraftwerk, Ihr habt das DFA-Label ja schon kennengelernt, dann fragt die Jungs mal, wen die noch so haben, hört Euch ein bißchen in der Elektro-Szene um und laßt ein komplettes Remix-Album anfertigen. Vorschläge: Aphex Twin, Autechre, BT, Client, Console, Daft Punk, Front 242, Front Line Assembly, Ladytron, LCD Soundsystem, Moby, Northern Lite, Paul van Dyk, Pet Shop Boys, Skinny Puppy,Terence Fixmer, The Chemical Brothers, The Faint, The Prodigy, Trentemöller, Underworld, Vince Clarke, Zoot Woman - und Karl Bartos, das wäre doch ein netter Gag, der macht nämlich gute Musik, müßt Ihr wissen. Aber das wißt ihr ja.

Von Matthias Bosenick (01.11.2007)

 

01)

 32Crash – Humanity – Alfa Matrix 2007

Die Konstellation sieht auf dem Papier ganz gut aus, wie man so sagt. Implant schnappen sich ihren Gastsänger („The Creature“) Jean-Luc de Meyer von Front 242, basteln eine Band daraus (kein Projekt!) und nennen sich 32Crash. Die Idee hinter dem Namen ist auch noch ganz lustig, denn ihrer Ansicht nach wird man, wenn man vor dem Impact den Countdown zählt, die Eins und die Null gar nicht mehr wahrnehmen, sondern nur noch den Aufprall.

Nun sind Implant ja noch eine der besseren, goutierbareren EBM-Combos unserer Tage. So konnten sie einige Male schon Anne Clark zum Gastgesang verpflichten, die ja auch schon seit fast zehn Jahren kein neues Material mehr angefertigt hat. Implant stehen weder für Hellectro noch für Future Pop, sondern irgendwo in der Mitte davon. Der Sound ist veraltet, aber nicht altmodisch, eher unentschieden zwischen EBM und Pop, also gleichzeitig in düsteren und nichtdüsteren Clubs zuhause. Das alles ist zwar nett, aber nicht unbedingt viel mehr als das. Der endgültige Kaufreiz für diese Maxi-CD ist daher ganz klar die Stimme. De Meyer bringt eine Eindringlichkeit in den Sound, die wie die Musik den Spagat zwischen Ober- und Untergrund zustandebringt.

Erstaunlicherweise verlaufen die ersten paar Hördurchläufe eher enttäuschend. 32Crash sind nicht so atmosphärisch wie Cobalt 60 und nicht so intelligent aggressiv wie C-Tec, sondern scheinbar eher stumpf. So macht sich zwar zunächst etwas Enttäuschung breit, aber wenn man sich auf die Unterschiede einlässt, findet man sehr wohl Gefallen am neuen Gewand für die tolle Stimme. Wenn Front 242 sich schon so rar machen. Das ist dann auch der Grund, weshalb der Remix von Patrick Codenys nicht überzeugen kann: Er klingt nicht nach Front 242, auch nicht nach Male Or Female oder Speed Tribe, geschweige denn nach den letzten Remixen, die er für andere angefertigt hat (u.a. The Cassandra Complex), sondern ist ziemlich belanglos.

Aber egal, man freut sich dennoch über dieses Konglomerat und auf das angekündigte Album „Weird News From An Uncertain Future“, das den Hörer auch gleich daran erinnert, dass 32Crash ja das Konzept verfolgen, ihre Lieder im Jahre 2107 spielen zu lassen. Aber das ist eher zweitrangig, erst mal ist Tanzen angesagt.

Von Matthias Bosenick (05.07.2007)